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DAS passiert in Kriftel

Begabte müssen schwitzen

Begabtenförderung: Schwitzen, stampfen, diskutieren und ein Daumenkinotest

Es geht um das Ziehen. Genauer gesagt um das Herausziehen. Nicht ohne Grund heißt das Projekt der Hochbegabtenförderung „Pull-out“. Denn das ist nichts anderes, als sich auf eine bestimmte Gruppe von Schülerinnen und Schülern zu konzentrieren, die sich durch besondere Intelligenz und Leistungsbereitschaft empfohlen haben. Diese Kinder zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie ein starkes Interesse an Lerninhalten zeigen, besonders motiviert sind und Zusammenhänge schneller erfassen als Gleichaltrige. Die Begabungen können vielfältig oder ganz spezifisch sein. „Je stärker und gezielter die Begabungen der Kinder gefördert werden, desto besser werden Synapsen im Gehirn gebildet“, erklärt Studienrat Thomas Preußer, der die Hochbegabtenförderung an der Weingartenschule leitet und zu diesem besonderen Tag eingeladen hat.

37 Hoffnungsträger aus den 8. und 9. Klassen sitzen nun am Morgen des 21. Mai erwartungsfroh im Konferenzraum der Weingartenschule und werden von Thomas Preußer und den drei Projektleitern Svenja Ziller, Alfonso Calabro und Baris Agus freundlich begrüßt.

Die Schülerinnen und Schüler kommen von der Heinrich-Böll-Schule in Hattersheim, der Gesamtschule Fischbach in Kelkheim, der  Mendelssohn-Bartholdy-Schule in Sulzbach und der Weingartenschule in Kriftel. Diese fünf Schulen haben sich zum Netzwerk für Hochbegabung im Main-Taunus-Kreis zusammengeschlossen. Einen ganzen Tag lang sollen nun die Jugendlichen drei verschiedene Projekte außerhalb des herkömmlichen Schulalltags durchlaufen.

Den Zumba spüren

Das Projekt „Zumba“, vorgestellt und geleitet von Alfonso Calabro, der Englisch und Deutsch an der Weingartenschule unterrichtet, bringt Musik, Rhythmus und Koordination zusammen. Die Gruppe, die etwa zur Hälfte aus Mädchen und Jungen besteht, stellt sich schnell im Halbkreis auf und lauscht den theoretischen Ausführungen des Leiters: „Zumba ist zu 20 Prozent Theorie und zu 80 Prozent Bewegung“,  führt der quirlige Calabro aus. Und so soll es ja auch sein: Bei dem 1980 erfundenen Mix aus Tanz- und Intervalltraining kommt es auf die schnelle Umsetzung der Tanzfiguren und die Bewegungen des Vortänzers an. Das läuft schon ganz gut. Für die die jungen Teilnehmer heißt es schwitzen, stampfen und den Rhythmus spüren.

Zumba ist die größte internationale Tanz-Fitnessmarke, weltweit zählt die Anhängerschaft bereits 15 Millionen Menschen an 200.000 Orten in 186 Ländern. Der Kolumbianer Alberto Perez entwickelte dieses spezielle Workout aus Aerobic-Elementen kombiniert mit Tanzschritten aus Salsa, Calypso, Reggae, Samba und Merengue Mitte der 90er Jahre in seinem Heimatland. Durch die ständige Bewegung und wechselnde Geschwindigkeit erhöht das Dance- und Ausdauertraining die Kondition. Die Teilnehmer des Programms können ein Lied davon singen. Und selbst die Jungs halten gut mit, ehrgeizig sind sie ja. „Aber wir waren natürlich besser“, sagt Leonie von der Weingartenschule grinsend zum Schluss.

Diskursiv denken

Nicht den Körper, aber die geistigen Fähigkeiten zu fordern, darauf kommt es in dem Projekt „Kulturelle Vielfalt – Chance oder Gefahr“ an, geleitet von Baris Agus, Lehrer für Ethik und Physik an der Oranienschule Wiesbaden. Ein komplexes Thema, mit einem provokativen Video der identitären Bewegung eingeleitet, in welchem die Wichtigkeit der kulturellen deutschen Identität in kurzen Statements der Interviewten beschworen wird. Keine leichte Kost, die aber pädagogisch greifbar durch eine These-Antithese-Konstellation wird. So sollen die Schülerinnen und Schüler zu zwei Fragen Stellung beziehen: „Brauchen wir für einen erfolgreichen Integrationsprozess eine deutsche Leitkultur?“ und „Gibt es religiöse Eigenheiten, die ein Rechtsstaat nicht tolerieren sollte?“

Die Begabtengruppe wird geteilt und jede Hälfte bekommt die Aufgabe, der anderen den Inhalt des jeweiligen Artikels zusammengefasst zu vermitteln. Kein einfacher Auftrag, der aber souverän gelöst wird. Man spürt förmlich die geistige Energie, die bei der Gruppenarbeit durch die Klasse geht. Ganz demokratisch diskursiv wird diskutiert und abgewogen.  Abschließend interviewt man sich gegenseitig und jeder erklärt seinen Standpunkt  zum Thema: „Gefährdet die kulturelle Vielfalt unsere Identität?“ Tatsächlich ist man sich in den Antworten nicht ganz einig, aber es geht ja auch darum, abweichende Meinungen zu tolerieren. „Beim Diskutieren merkt man erst, wie viele Aspekte bei einem Schlagwort wie „Toleranz“ zu beachten sind“, merkt einer der Teilnehmer an. Auf gegenseitigen Respekt als wichtigste Grundlage für das Zusammenleben können sich dann alle einigen.

Vom Daumen zum Kino

Dass zusammen mehr geht als einzeln, ist auch Thema des dritten Projekts von Svenja Ziller, die 3D-Management und Produktvisualisierung in Wiesbaden studiert. Daumen hoch zum Daumenkino, ist jetzt das Motto für die Aspiranten. Denn anhand eines Daumenkinos – das im Übrigen von den Schülerinnen und Schülern selbst gezeichnet wurde – wird die Entstehung eines Films erklärt und bewusst gemacht. Gelernt wird dabei, dass 24 Einzelbilder - die im Film Standard sind - erst eine flüssige Bewegung entstehen lassen. Die jungen Leute werden in Gruppen geteilt, und jede Gruppe bekommt die Aufgabe, sich ein Thema zu überlegen und zu illustrieren. Sind die 24 Bilder fertig gezeichnet, kommt der Daumenkinotest. Fließt die Bewegung? Dann erst sollen die Bilder einzeln mit dem Handy abfotografiert werden, damit ein kleiner Film entstehen kann.

Die Projektleiterin lässt sich zunächst die Stories zeigen: eine startende Rakete, ein ins Netz geworfener Basketball und ein stürzender Mann, der von einem Ball getroffen wird - das haben die 45 Minuten Denk– und Umsetzungsarbeiten ergeben. So kann jede Gruppe ein kleines Storyboard vorweisen und somit erklären, um was es in dem Film geht. Ähnlich ginge es ja auch vor einem wirklichen Filmdreh zu, erklärt Ziller, „die Crew muss wissen, was sie tut“. Lea aus der Mendelson-Bartholdy-Schule fasst  ihre Erkenntnisse zusammen: „War ein super Überblick für Filminteressierte“, und Navid aus der Weingartenschule ergänzt: „Ich hätte nie gedacht, wie viel Arbeit in so einem Film steckt“.

Am Ende dieses arbeitssamen und lehrreichen Projekttages bekommt jeder Teilnehmer eine Teilnahmeurkunde und darf die Projekte bewerten. Die Resonanz ist durchweg positiv. „Es gab politische Diskussionen, ausgefallene Tanzfiguren und bewegte Bilder! Was will man mehr“, zieht ein Weingartenschüler sein Resümee. „Ein toller Tag“! Alexander van de Loo