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DAS passiert in Kriftel

Parkbad: Üben für den Ernstfall

Fazit: Der Kreis ist für den Ernstfall gut gerüstet

Anton S., 25 Jahre, Medizinstudent, hat am Samstagmorgen schon einiges hinter sich. Nur mit einer Badehose bekleidet, die gold-silberne Rettungsdecke umgehängt, humpelt er barfuß in das rote Zelt. Dabei erzählt er seine Geschichte: Er war im Wasser, hörte einen lauten Knall. Ein Gefahrstoff wurde in Luft und Wasser freigesetzt. Panisch beeilte er sich, aus dem Wasser zu kommen. Fiel hin. Verletzte sich an den Beinen. Dazu kamen, wie er aufzählt, brennende Augen, eine verletzte Lunge und Schmerzen in den Schleimhäuten. Anton wird öfters mal verletzt. Immer dann, wenn er einen sogenannten Verletzten-Darsteller für eine Katastrophenübung mimt.

Am vergangenen Samstag ist es wieder soweit. Vor dem Krifteler Schwimmbad ist die Hölle los. Rund 150 Leute sind hier zugange. Davon viele in martialischen Schutzkleidungen, chemischen Schutzanzügen und mit Atemschutzmasken und technischen Gerätschaften ausgerüstet. Feuerwehr und Katastrophenschutz aus dem Main-Taunus-Kreis sind an diesem Vormittag zusammengekommen, um den Ernstfall zu üben. „Gefahrgutaustritt im gut besuchten Krifteler Schwimmbad mit vielen Verletzten“ heißt das Katastrophenszenario. Es wird in allen Details durchgespielt.

Umsetzung der sogenannten GAMS-Regel

Politiker des Kreises und die Einsatzleiter.
Aufmerksame Beobachter: Einsatzleiter Lars Mackel, der Erste Beigeordnete der Gemeinde Kriftel, Franz Jirasek, Landrat Michael Cyriax, Einsatzleiter Andreas Koppe, Dieter Herbert und Liederbachs Bürgermeisterin Eva Söllner. Fotos: vdLoo

Laut verantwortlichem Leiter des Einsatzes spielte sich zuvor alles so ab: Zunächst wurde die Feuerwehr Kriftel mit dem Kürzel H1, das bedeutet zunächst eine einfache technische Hilfeleistung, und der Beschreibung "unklarer Knall aus Richtung Schwimmbad Haupteingang, mögliche technische Störung Parkbad" alarmiert. Vor Ort stellte sich dann ein Gefahrstoffeinsatz (zum Beispiel ein Chlorgasaustritt in Luft und Wasser) mit zahlreichen Verletzten heraus, zu dem schnellstens weitere Katastrophenschutzeinheiten angefordert werden mussten. So kamen der G-ABC-Zug aus Bad Soden, die Messfahrzeuge der Feuerwehr Eschborn sowie der Dekon-Zug der FF Liederbach und das DRK Bad Soden mit dem Dekon-V Zug zum Einsatz.

Neben der Umsetzung der sogenannten GAMS-Regel (G = Gefahr erkennen, A = Absperrung durchführen, M = Menschenrettung und S = Spezialkräfte alarmieren) gilt es nun, die Verletzten und die eingesetzten Trupps zu dekontaminieren, den Austritt des Stoffes zu stoppen und dessen Ausbreitung zu erfassen.

Geschminkte realistische Verletzungen

Menschen in Schutzanzügen im völlig vernebelten Technikraum.
Disconebel im Technikraum simuliert das Leck.

Das Szenario mit dem ausgetretenen Chlorgas im Technikbereich des Schwimmbades basiert auf einem realen Fall, wie der Organisatorische Leiter Lars Mackel verrät. Vor einigen Jahren war Ähnliches in Bad Soden am Schwimmbad passiert. So entstand die Idee eines größer dimensionierten Katastrophenszenarios in Kriftel. Seit Oktober 2022 arbeite man daran. „Wir haben unser Parkbad und den angrenzenden Festplatz im Freizeitpark gerne für die Übung zu Verfügung gestellt“, betont der Erste Beigeordnete der Gemeinde, Franz Jirasek, der die Übung interessiert verfolgt. „Es ist wichtig, auf alle Eventualitäten gut vorbereitet zu sein.“

Im Szenario schlägt die Stunde der etwa ein Dutzend Verletzen-Statisten. Sie nehmen ihre Rolle ernst. Aus den Zelten, in denen sie aufgenommen werden, hört man Schmerzenslaute. Es wird geschrien, geweint, gehumpelt, auf Krücken gelaufen und im Rollstuhl gefahren. Professionell „auf verletzt“ geschminkt, müssen sie alle Abläufe wie im Ernstfall durchlaufen.

Gespenstischer Nebel im Technikraum

Eine Etage tiefer, im technischen Herzen des Schwimmbades, geht es gespenstisch zu. Drei Männer in blauen chemischen Schutzanzügen bekämpfen im giftigen Nebel die Ursache der Katastrophe: das Leck, aus dem ein Gefahrstoff heftig ausströmt. Der Rauch ist natürlich Disco-Nebel. „Völlig ungiftig“, beruhigt der Pressereferent des Main-Taunus-Kreises., Dr. Johannes Latsch. Es solle eben alles so realistisch wie möglich wirken.

Wie im Ernstfall müssten alle Katastrophenschutzeinheiten Hand in Hand arbeiten. „Das wird immer wieder geübt“, betont Einsatzleiter Mackel. Auf die Schnittstellen käme es an. Jeder wisse, was zu tun sei. „Diese große Übung bringt Sicherheit, kompetente Hilfe und soll die Bevölkerung beruhigen“, erläutert Landrat Michael Cyriax, der zur Großübung gekommen war. „Das Ehrenamt ist hier natürlich auch ein entscheidender Faktor,“ ergänzt Liederbachs Bürgermeisterin Eva Söllner. Franz Jirasek lobt den Nachwuchs der ehrenamtlichen Einsatzkräfte: „Ohne dieses große Engagement läuft eine solche Übung nicht“.

Präzise Abläufe retten

Tatsächlich werden die Betroffenen gesäubert, sprich dekontaminiert. Zunächst werden sie nach Schwere ihrer Verletzung klassifiziert, auch um die Arbeit der Ärzte im Krankenhaus zu erleichtern. Jeder Verletzte bekommt eine Art Verletzten-Ausweis umgehängt, auf dem seine Verletzungen notiert sind. Zudem ist die Einweisung ins nächstgelegene Krankenhaus und eine Farbe, die die Schwere der Verletzung anzeigt, dort notiert. Das geht von Rot über Gelb bis Grün. Auch die Zelte - die vor dem Einsatz aufgeblasen wurden – sind in den drei Farben sortiert. Sie stehen für schwerverletzte, leichter verletzte und gehfähige Verletzte.

Zunächst werden kontaminierte Patienten ausgekleidet, dann versorgt und dekontaminiert. So sind sie transportfähig und kommen in die umliegenden Krankenhäuser. In den Zelten sorgen autarke Generatoren für gleichbleibenden Luftaustausch, kontaminierte Luft bleibt so nirgendwo stehen. Die verunreinigte Kleidung wird in speziellen Behältern und Fahrzeugen sicher entsorgt. Auch die von den Einsatzkräften, die von ihren vielfältigen Aufgaben gefordert, schwer ins Schwitzen kommen.

Für den Überblick über die komplexe Lage sorgt eine Drohne. Sie schwebt über dem Geschehen und verschafft den Einsatzleitern freie Sicht. Sie wissen so immer, was wo passiert. Schaulustige gibt es an diesen Samstagvormittag kaum. „Das hätten wir auch gar nicht gewollt, es sollte kein Event sein“, erklärt Andreas Koppe, ebenfalls Organisatorischer Leiter des Einsatzes. Nach einer erfolgreichen Übung sei aber schon wichtig, dass die Meldung sich verbreite, bemerken Söllner und Jirasek. Die Bevölkerung solle wissen, dass, wenn eine Katastrophe passiere, sie in guten, organisierten Händen sei. Auch die Nachbetrachtung – unter anderem des Zusammenspiels der unterschiedlichen Einsatzkräfte - sei wichtig.

Medizinstudent Anton kann, nachdem er in Badehose „dekontaminiert“ wurde, wieder befreit lachen. Für ihn war es eine Herzensangelegenheit, sich für eine gute Sache ehrenamtlich zu engagieren.                             Alexander van de Loo

Katastrophenschutz, wann? Der Katastrophenschutz kommt immer dann zum Einsatz, wenn die Schadenslage so groß wird, dass die Kräfte des normalen Regelrettungsdienstes und der Feuerwehr nicht ausreichen, um den eingetretenen Schaden oder die drohende Gefahr zu bekämpfen. Solche Situationen können die von der Natur oder von Menschen verursachten Katastrophen wie Hochwasser, Bombenevakuierung oder auch ein Stromausfall sein. Kommt es zu einer größeren Schadenslage, werden die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des Katastrophenschutzes aktiv, um der Bevölkerung die bestmögliche Hilfe zukommen zu lassen. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen, Feuerwehren und den zuständigen Behörden. Der Katastrophenschutz wird in Deutschland von den Bundesländern und in den Bundesländern von festgelegten Aufsichtsbehörden geregelt und verwaltet. Er ist Teil eines größeren Systems zum Schutz und zur Gewährung der Sicherheit der Bevölkerung. vdLoo