Zeitung auf Schreibtisch - Aktuelles

Immer informiert

DAS passiert in Kriftel

Schule hilft bei Berufsorientierung

„Wir brauchen eure Energie und Power!“

Aus der Ferne fällt sofort auf, dass hier etwas nicht stimmt. Wo sich sonst Schülerinnen und Schüler in der Pause von ihrer geistigen Arbeit erholen, blinken Straßenverengungstafeln, stehen Warnbarken und Verkehrszeichen und signalisieren aufgestellte Pylone Gefahr. Ein riesiger Unimog in auffälligem Orange steht mit vorgesetzten Seitenmäher und offenen Türen auf dem Schulhof neben der Schulskulptur. Hier ist heute einiges los. Werden die Grünflächen gemäht? Gibt es Verkehrserziehung? Wird neuer Asphalt aufgetragen? In dem Unimog sitzen zwei Schüler der H8 und der R9. Safuan und Karlo lauschen interessiert den Ausführungen von Sebastian Birner, Leiter der Straßenmeisterei Hofheim. Den Schülern merkt man an, dass ihnen ihre neue Position gefällt. Und um neue Positionen geht es an diesem Tag. Der 6. Juni ist Berufsorientierungstag.

Jede zweite Stelle unbesetzt

Das Berufsorientierungsteam der WGS.
Basel Mirza, Anna Maschistof und Alexander Heyd.

Hier und heute sollen sich ausbildende Unternehmen und Jugendliche aus den Abschlussklassen kennenlernen. Es geht um die Berufswahl, um Orientierung. Initiiert hat diesen Tag - unterstützt von Kollegin Anna Maschistof - Basel Mirza, Studienrat für Mathematik, Physik und PoWi an der Weingartenschule (WGS). „Als studierter Berufsschullehrer konnte ich direkt miterleben, welche Anforderungen an Auszubildende gestellt werden, um eine erfolgreiche Ausbildung zu absolvieren“, führt er an. Diese Erfahrungen und Erkenntnisse habe er genutzt, um für die interne Berufswahlmesse das WGS-Azubigespräch zu konzipieren. Er hoffe, dass die Schüler so einen breiten Ein- und Überblick über die Vielfalt der Berufsausbildung erhalten. Wenn sich der eine oder andere eine Ausbildung bei den teilnehmenden Betrieben vorstellen kann, sei das schon ein Erfolg, ergänzt der stellvertretende Schulleiter Alexander Heyd.

Bei der Auswahl der Unternehmen wurde darauf geachtet, dass die Entfernung zu Kriftel nicht allzu groß ist. Es gehe in erster Linie um Kontakte „und aus Kontakten werden hoffentlich Bewerber“, so Mirza. Die Ausgangslage sei ernst. Angesicht eines Marktes, in dem jede zweite Lehrstelle unbesetzt bleibt, müssten sich die Unternehmen bei den jungen Leuten bewerben. Das ist anders, als es früher einmal der Fall war. Zeige aber auch, wie stark das Bedürfnis nach Orientierung bei den Jugendlichen sei. Man müsse vor allem locker auf Azubis zugehen und ihren Spieltrieb ansprechen.

Von acht Unternehmen aus der Umgebung sind drei aus Kriftel. Sie sind heute hier, um neue Azubis oder Praktikanten anzuwerben. Vertreten sind das Gartencenter Tropica/Garten- Landschaftsbau, die Firma Graphic Packaging/Verpackung, die Varisano Pflege, die Gemeindeverwaltung Kriftel, die Deutsche Bahn Logistik, Hessen Mobil, der DM Drogeriemarkt und SPIE Elektro.

Verändertes Rollenverständnis

Bei der Straßenmeisterei sieht man nur Jungs. Wo sind die Mädchen? Vielleicht da, wo man sie vermutet, bei der Kosmetik und den Pflegeberufen? Nicole Langenbach, Diplom-Pflegepädagogin bei dem Pflegedienstleister Varisano berichtet aus Erfahrung, dass mittlerweile ein Drittel Jungs in der Ausbildung und später in den Krankenhäusern arbeiten: „Da bewegt sich was!“ Mit 14, 15 Jahren seien die Jugendlichen aber noch eher an die traditionellen Rollenbilder gebunden. Dazu käme, dass Mädchen von der Entwicklung her den Jungen stark voraus seien. Sie selbst befürworte eine gute Mischung. „Das tut jedem Team gut“, bestätigt sie.

Es gibt an diesem Tag aber so einige Mädchen, die sich für technische Berufe interessieren. Eine davon ist Julie aus der R9c. „Ich war schon Praktikantin in der Autowerkstatt“, sagt sie selbstbewusst. Sie möchte gerne in einem typischen Jungenberuf arbeiten. „Heute sind doch alle gleich“, meint sie. Frank Bader, Ausbildungsberater bei Hessen Mobil, geht noch weiter: „Manche Mädchen sind sogar stärker.“ Wichtig sei, dass sie keine Scheu zeigten, anpackten. „Es kommt immer auf die Persönlichkeit an“, weiß Bader.

Geld zählt

Bei den 18 Jungs, die sich um den Unimog auf dem Schulhof scharen, geht es jetzt ums Geld. Man verdiene gut, betont Sebastian Birner: „Und den LKW-Führerschein kriegt ihr auch noch im Wert von 5000 Euro, den nimmt euch keiner mehr weg!“ Für viele ist ein guter Verdienst ein Argument. Die Laune steigt. Viele Jugendliche tauen jetzt erst auf.

„Das persönliche Gespräch ist extrem wichtig“, stellt Jan Peifer, Personalmanager der Deutschen Bahn, fest. In diesem Punkt sind sich alle Unternehmen einig. Man müsse auf die Auszubildenden zugehen. Offen sein, sie da abholen, wo sie stehen, konstatiert Basel Mirza, „die Ansprache hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert.“ Aber die Auszubildenden sollten schon wissen, in welche Richtung sie wollen.

Orientierung geben

Dieser Meinung ist auch Sutharsana Kirupanathan, Berufsberaterin beim Arbeitsamt und einmal pro Woche in der Weingartenschule als Ansprechpartnerin für alles, was in Richtung Berufsausbildung geht. Sie gibt Orientierung und findet diesen Tag hervorragend. Basel Mirza verweist darauf, dass die Schule generell einiges in der Vorbereitung auf das Leben mache. Schon ab der siebten Klasse werden Stärken und Schwächen der Schüler festgehalten, um sie gut zu beraten. 120 Schüler sind heute und besuchen grüppchenweise die verschiedenen Stationen.

Eine davon ist die Deutsche Bahn. Die beiden Azubis von der DB, die auch mitgekommen sind, beschreiben lebhaft ihre Ausbildung. Hier sprechen junge Leute miteinander, treffen den Ton. Die Schwellenangst fällt weg. Das werde es jetzt öfter in der WGS geben, so Basel Mirza. Ein Kooperationsvertrag zwischen WGS und DB werde demnächst unterschrieben, um Ausbildungsplätze zu besetzen.

Die drei Damen von der Drogeriekette DM verweisen auf einen erfolgreichen Tag. Sieben Verträge für Praktika seien schon vergeben worden. Keine schlechte Bilanz. „Die Leute kommen gerne zu uns,“ weiß Jasmin Beuer aus dem DM-Team.

Bei SPIE, einem technischen Unternehmen, das Anlagenmechaniker und Elektroniker, aber auch Industriekauffrauen ausbildet, schaut man sich Filme an: Medial erzählen Azubis von ihrer Ausbildung. „Echte Azubis kommen besser rüber“, sagt eine von neun Schülerinnen im abgedunkelten Klassenzimmer. Auch ein Tipp für die Veranstalter.

Gemeinde Kriftel als beliebter Praktikumsplatz

Natürlich ist es Ehrensache, dass die Gemeinde Kriftel auch vertreten ist. Jutta Kuchenbrod, Ausbildungsleiterin in der Verwaltung, zeigt sich zufrieden. Ihre Flyer seien angenommen worden. „Wir haben das ganze Jahr eine gute Resonanz auf unsere Praktika“, erläutert sie. Die zwei Ausbildungsstellen dieses Jahr seien besetzt.

Gärtnermeisterin Jessica Dörr von Tropica lobt den Zuspruch und die guten Umgangsformen der Weingartenschüler. „Generell sind ein gepflegtes Auftreten, Höflichkeit und eine gewisse Gesprächskultur von Vorteil bei der Vorstellung“, betont sie. Sie wünscht sich für das nächste Mal „mehr Praxisbezug mit mehr Material“. Vielleicht nicht in einem Klassenraum, sondern auf dem Schulhof oder im Weingärtchen.

Am Ende der Veranstaltung gibt es in der Aula eine Reflektion mit allen über das Erlebte. Die Aussagen der Schülerinnen und Schüler sind einhellig positiv. Endlich konnte man mal hinter die Kulissen gucken, heißt es. „Wir haben Berufsbilder kennengelernt, die wir noch gar nicht kannten“, sagt eine Schülerin. Da stimmen die Vertreter von Graphic Packagig zu: „Alle benutzen was wir herstellen, aber keiner kennt die Firma.“ Ein Schüler resümiert: „Es ist sehr lehrreich gewesen und als Orientierung megawichtig für uns.“ Viele gehen mit einem guten Gefühl. Und was kommt von den Unternehmen? „Wir brauchen eure Power“, heißt es da. „Ihr habt eine Fülle von Möglichkeiten, also nutzt sie!“ Alexander van de Loo