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Europafest setzt ein Zeichen
„Gemeinsam an einem Strang ziehen“
Autor: Alexander van de Loo Bei den EU-Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag ging es um eine wichtige Richtungsentscheidung. Die Herausforderungen sind und bleiben groß: Ukraine, Krieg, Flüchtlingskrise, Klimawandel, Rechtsruck, Inflation. In Kriftel wollte man sich indes nicht die Laune verhageln lassen und feierte sein Europafest. Und tatsächlich herrschte am Samstag, den 8. Juni, eitel Sonnenschein. Die blauen Europa-Fähnchen flatterten im Wind. Blaue Luftballons dekorierten die Stände vor dem Rat- und Bürgerhaus. Die Mitglieder des Städtepartnerschaftsvereins, wie zum Beispiel Ehrenbürger Bodo Knopf, hatten sich das blaue Europa T-Shirt übergezogen und schenkten französischen Roséwein aus. Überall lagen Fragebogen auf den gut besuchten Tischen. Zehn Fragen zur EU sollten beantwortet werden. Die Besucherinnen und Besucher erfreuten sich an Bier, Würstchen und Gute-Laune-Musik des Duos Markus Finger und Katja Gorol.
Die Stimmung war auch unter den in der Gemeindevertretung vertretenen Fraktionen optimistisch. Man stand zusammen. „Wir wollten mit dem Europafest über die Parteigrenzen hinweg deutlich machen, wie wichtig eine Teilnahme an der Europawahl ist. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Konflikte in der Welt“, so Bürgermeister Christian Seitz.
Am CDU-Stand plauderte der Landtagsabgeordnete Axel Wintermeyer aus dem Nähkästchen: Seine Mannschaft hätte viel getan, vor allem für die Information der Neuwähler, der 16- bis 18-Jährigen. In Hessen sind es 100.000 Mädchen und Jungen, also fast zwei Prozent aller gut vier Millionen Hessen. „Wir haben die gängigen Medienkanäle bespielt“, hob er hervor. Er war erstaunt über das Interesse der Jugend an den Wahlunterlagen, „die gingen weg wie nix“, erklärte er. Nach seiner Einschätzung sei diese Generation sehr zukunftsorientiert. Sie seien allerdings auch leicht beeinflussbar von Populisten, warnte der Politiker. Konstruktive direkte Gespräche würden helfen.
Hoffnung auf die Jugend
Auffällig sind an diesem sonnigen Nachmittag die vielen Jugendlichen vom Jugendforum. Einer von ihnen ist Arnab, 17. Er steht am Würstchenstand und bruzzelt, was das Zeug hält. Er dürfe jetzt zum ersten Mal wählen: „Ich fühle mich dadurch wesentlich erwachsener“, beschreibt er seine Stimmung. Plötzlich habe man eine Stimme, sagt er selbstbewusst, „das tut gut“. Neben ihm schenkt die 19-jährige Lara Getränke aus. Die Herabsetzung des Wahlhalters befürwortet auch sie. “Aber die jungen Wähler sollten dann auch an Politik interessiert sein“, fügt sie hinzu.
Das herabgesetzte Wahlalter fand bei den Damen am Stand der GRÜNEN große Zustimmung. „Demographie spielt schon eine Rolle: so wenig junge, und so viele ältere Wählerinnen und Wähler - da sind viele Jungwählerinnen und -wähler absolut wünschenswert.“ Dennoch befürchtet Thea Tobisch-Schuster „eine Denkzettelwahl“.
Den Ersten Beigeordneten und Wahlleiter Kriftels, Franz Jirasek, stimmen am Samstag die 30 Prozent Briefwähler/innen sehr optimistisch. Jirasek, der auf 18 Jahre Kommunalpolitik zurückblickt, weiß auch, dass mittlerweile die EU- Gesetzgebung bis in die kleinste Kommune durchschlage. Die Rahmenbedingungen werden von der EU gesetzt. Im Beispiel führt er aus: „Es gibt EU-weite Standards, wie die Trinkwasserqualität.“ Das empfinde er positiv. Er wünscht sich generell weniger Regularien von außen. Die lokalen Bedürfnisse müssten von der EU berücksichtigt werden. Auch Christian Seitz ist sich da sicher: „Die eigentliche Umsetzung europäischer Entscheidungen findet auf lokaler Ebene statt.“ Dass da in Kriftel viel getan werde, sind sich alle Parteien einig.
Geflüchtete in Arbeit bringen
Eine, die weiß, wovon sie spricht, ist die Vorsitzende des Ausländerbeirats, Carmen Jimenez. Sie fühle sich als Unionsbürgerin mit spanischem Pass in Kriftel zuhause, sagt sie. Ihr gefalle auch nicht alles, was in der EU beschlossen werde. Aber: „Die vielen Vorteile wiegen die Nachteile mehr als auf“, betont Jimenez.
Die Arbeit der Ausländerbeauftragten habe sich in den letzten Jahren stark verändert. Früher wurden viele Aktivitäten für den kulturellen Austausch organisiert. „Heute nimmt die Arbeit mit Geflüchteten viel Zeit in Anspruch“, stellt sie fest. „Zu viel!“ Und gerade die Problematik der Flüchtlingspolitik gäbe den Rechten viel Aufwind. Hier müsse in nächster Zeit etwas geschehen. „Wir können nicht die ganze Welt retten. Aber die, die wir retten, sollten möglichst bald in Arbeit gebracht werden - und das auch wollen“, fordert die Spanierin mit Nachdruck.
Europäische Partnerschaften gefragt
Bei der SPD steht Rosi Mohsler gegen Hass und Hetze. Auf Kriftel hält sie viel: „Diese Gemeinde ist von Haus aus offen.“ Parteigenosse Hans-Joachim von Kiel findet die Städtepartnerschaften sehr wichtig. Da könnten Vorteile abgebaut werden. Generell sorge man sich wegen des aufkeimenden Nationalismus. Bei der FDP hält man sich etwas bedeckt. Der Zuspruch an den Wahlständen sei eher gering gewesen, diskutieren wollten eigentlich eher Wenige. Schüleraustausch hält der Ortsverbandsvorsitzende Florian Conrad für essentiell. Da erlebe man die EU hautnah.
Drei Mädchen, die davon reden können, stehen an der Kasse des Jugendforums und sind mit den zahlenden Gästen beschäftigt. Tessa, Jasmin und Josephine waren vor kurzem mit dem Städtepartnerschaftsverein begleitet unter anderem von Bürgermeister Seitz in der französischen Partnerstadt Airaines. „Eine intensive Erfahrung“, schwärmt Josephine,15. „Wir haben echte Freundschaften geschlossen.“ Sie hätten sich das Parlament angeschaut. Die Freundinnen wünschten sich mehr politisches Engagement in der Schule, gerade auch im Hinblick auf die Erstwähler.
Die aufgestellten Bänke und Tische sind jetzt voller Leute. Was fällt ihnen zu Europa ein? Erst stutzen viele, um dann durchweg positive Begriffe zu nennen: „Grenzenlos“, „Gut für die Gemeinschaft“, „Zusammen geht mehr“, „Gemeinsamkeit“. Nichts Negatives? Das mit der Gemeinschaft sei schwierig, zu viel nationales Eigeninteresse. Die Bürokratie. „Aber alles machbar“, fassen die Besucher einige Schwierigkeiten der 27 Länder zusammen.
„Europa soll sich um die großen Fragen kümmern,“ mahnte Bürgermeister Seitz, „um die kleineren kümmern wir uns in hier Kriftel!“. Letztlich sei es aber doch ein „Wahnsinn“, was Europa nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet habe. Ein riesiges Friedensprojektgestemmt, das ehemalige Feinde zu Freunden gemacht habe. „Wir ziehen gemeinsam an einen Strang!“, lautete am Samstag vor der Wahl sein Fazit und Appell zugleich.