- Rathaus & Politik
- Leben & Umwelt
- Kultur & Freizeit
- Wirtschaft & Wohnen
Geschichte Kriftels um 1900
120 Menschen an Entwicklung der Gemeinde um 1900 interessiert
„In den Jahren um 1900 erlebte Kriftel ein stürmisches Wachstum. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich, neue Straßen wurden angelegt. Kriftel wandelte sich von einem landwirtschaftlich geprägten Ort zu einer Gemeinde mit Wohnungsangebot und neuen Gewerbezweigen. Auch der Obstbau begann sich als neues Markenzeichen der Gemeinde zu etablieren“, so wurde der Vortrag des neuen Gemeindearchivars Dr. Detlef Krause im Programm des Kulturforums angekündigt. 120 Gäste hatten Interesse an der Entwicklung ihrer Heimatgemeinde um das Jahr 1900: Sie strömten am 1. Februar zu seinem bebilderten Vortrag ins Rat- und Bürgerhaus. Damit hatten die Organisatorinnen Erika Mitsch und Anne Richter nicht gerechnet: „Wir sind ganz geplättet von der Nachfrage“, freuten sie sich.
Viele spannende Bilder und Fotos hatte Dr. Krause zusammengestellt, der für den Vortrag auch auf Akten, die sich im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden befinden, zurückgreifen konnte. „Das Deutsche Reich entwickelte sich von 1871 bis 1918 von einem ländlichen Entwicklungsland zu einer der modernsten Industrienationen der Welt“, so der Gemeindearchivar. Er zitierte aus der Chronik (1960er Jahre) des Lehrers Adam Schlemmer: „Kriftel war bis zur Jahrhundertwende ein Bauerndorf mit mehreren gewerblichen Betrieben.“ Aber auch Kriftel wurde moderner, insbesondere in den Jahren zwischen 1890 und 1913: „Kriftel wurde zu einem Wohnort, bekam mehr Gewerbe und die Landwirte wandten sich dem Obstbau zu. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich zwischen 1895 und 1913 auf 1.922“, berichtete Dr. Krause.
Jacobi und Finger: Bekannte Familien wurden größer
Die einheimische Bevölkerung nahm zu. So wurden zum Beispiel die bekannten Familiennamen Jacobi und Finger immer häufiger. Aber es gab auch Zuwanderung: vor allem Handwerker, Fabrikarbeiter, Chemiker, Ingenieure, eine Industrielehrerin und ein Musiker zogen zu. Allein von 1890 bis 1902 stieg die Anzahl der Handwerker von 27 auf 53. Die Zahl der Fabrikarbeiter stieg von 15 auf 28 – die Industrialisierung kam nach Kriftel. Neue Wohngebiete entstanden: in der Schulstraße, Taunusstraße, Bahnhofstraße und Frankfurter Straße.
Für die vielen Arbeiter wurde Wohnraum benötigt, und dieser sollte möglichst billig sein. Mit den Ziegeleien aus Kriftel - am Bahnhof und im heutigen Ziegeleipark - konnte man dafür Ziegelsteine produzieren. „Von diesen Ziegelstein-Häusern gibt es heute noch 30 im originalen Ziegel-Stil. Weitere 45 gibt es, deren Fassade umgestaltet beziehungsweise verputzt wurde“, berichtete Dr. Detlef Krause. „Das sind schöne Zeugnisse der damaligen Zeit.“ Ein Highlight: Durch ein zufälliges Gespräch mit einer Dame in der Taunusstraße erhielt er einen Grundriss aus dem Jahr 1894.
Bürgermeister Sittig schuf (nicht nur) ein neues Zentrum
Wichtig für Kriftel, so Dr. Krause, sei Bürgermeister Johann Sittig gewesen, der von 1892 bis 1919 im Amt war: „Er war von Beruf Maurer und Landwirt und ein Workaholic!“ Seine wichtigsten Projekte sei eine neue Schule (1896), die Stromversorgung der Gemeinde (1911/12) und der Anschluss ans Gasnetz 1914 gewesen. Er führte auch zwischen 1907 und 1914 anstelle der alten Brunnen die zentrale Wasserversorgung ein: Die Anlage „Am alten Wasserwerk“ versandete allerdings schon nach zwei Jahren. So musste die Gemeinde 1914 einen anderen Brunnen am Bahnhof kaufen. Ein weiterer Verdienst: Durch den Kauf eines Grundstücks - vor dem heutigen Café und Blumenladen - wurde der Lindenplatz arrondiert und Sittig schuf ein neues Zentrum für Kriftel.
„Der Obstbau im Kreis Höchst, heute MTK, wurde vor allem vom Kreisobstbauverein von 1893 gefördert“, berichtete der Gemeindearchivar. Erster Vorsitzender war der Arzt und Naturforscher Dr. Wilhelm Kobelt aus Schwanheim. Der Verein warb für Obstbau, organisierte Ausstellungen und unterstützte den Kampf gegen Schädlinge. Ferner waren „Kreiswandergärtner“ als mobiler Berater im Kreis unterwegs. Mit alten Fotos ging Dr. Krause auf die Pioniere im Obstbau ein.
„Die Änderungen in der Sozialstruktur durch den Zuzug der Arbeiter hatte politische Folgen: das katholische ‚Zentrum‘ verlor an Bedeutung, Sozialdemokraten gewannen an Einfluss“, schloss der Gemeindearchivar seinen Vortrag, der viel Applaus erhielt. Er versprach, dass es weitere Vorträge zu Kriftels Geschichte geben wird - nicht zuletzt aufgrund des großen Interesses an seinem ersten Vortrag als Gemeindearchivar in Kriftel.