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Moos und Acryl faszinieren
Kleine Kraftwerke an der Wand
Moos und Acryl sind für sich genommen negativ besetzt. Moos, weil es im Garten Rasen und Terrassen zusetzt und sich nur schwer beseitigen lässt. Acryl, weil es mit Plastik assoziiert wird. „Billig aussehend“ und „umweltzerstörend“ sind da gängige Adjektive. Die Künstlerin Yvonne Mey nutzt beides für ihre künstlerischen Werke: Moos als Kunstwerkstoff und Acryl als flüssiges Spielmaterial. Das Ergebnis: viel positive Energie und kreative Kraft.
Wer sich Mooswände vor Augen führt, denkt vielleicht erst einmal an Schallschutzwände, die CO2 absorbieren. Beruhigend grünes Moos wird gerahmt auch schon in Krankenhäusern gesichtet. Dieses Material hat nun in künstlerischer Form Eingang in das Rathaus Kriftel gefunden. Bürgermeister Christian Seitz und das Kulturforum Kriftel hatten jetzt wieder Kunstinteressierte zu einer Ausstellungseröffnung ins Krifteler Rat- und Bürgerhaus eingeladen. Der programmatische Titel der Ausstellung: „Lebendige Kunst“.
Kraftwerk Moos
Mooswerke sind seit einigen Jahren auf dem Vormarsch: Das konservierte Moos soll den Feinstaub- und Aerosolgehalt in der Luft verringern. Kleine Kraftwerke sozusagen. An Kunst dachte da zunächst niemand. Yvonne Mey, die aus der Spargelgemeinde Darmstadt-Griesheim kommt, steht zu ihrem Material. „Ich bin 2021 erstmalig in Berührung mit Moos als Kunstform gekommen,“ erklärt sie. „Ich finde es sinnlich. Das Irre ist ja, es lebt!“, Sie entschied sich für Moos aus Island, das sogenannte Rentiermoos.
Bevor sie das organische Material in den Rahmen setzt und gestaltet, durchläuft es einen Dreiklang, wie Mey es nennt: „Geerntet. Konserviert. Gefärbt.“ Denn überraschenderweise ist das Moos zunächst grau und wird nach Wunsch gefärbt. Nach der Ernte wächst das Moos nicht weiter, da ihm die natürliche Wachstumsumgebung fehlt. So fällt es auch nicht aus dem Rahmen. Die Ergebnisse von Yvonne Meys eingefärbtem „Kunst-Stoff“ lösen Zustimmung und Verblüffung zugleich aus. Vor allem die vielfältigen Motive kommen beim Publikum an.
Die beiden besten Beispiele für die unterschiedliche Bearbeitung hängen im Rat- und Bürgerhaus Kriftel nebeneinander: Da ist zum einen ein geometrisch gestaltetes Bild, das von weitem sehr flächig glatt wirkt. Erst auf den zweiten Blick erkennt man auf diesem Bild mit dem Titel „Love“ die Buchstaben – und das organische Material Moos. Direkt daneben hängt das Werk „Structured“: Gleichfalls geometrisch strukturiert, mutet es etwas unordentlicher an. „Ich habe hier zwei Kilo weniger Moos verarbeitet“, so Mey. Das wirke sich auf Gestaltung und Preis aus. Je mehr Moos, desto klarer die Fläche und umso teurer.
Esoterik und Comics
Im ersten Stock hängen sieben kleine Farbtafeln nebeneinander. Das erinnert an Malerei vom amerikanischen Künstler Mark Rothko oder auch von Gerhard Richter, dem teuersten lebenden deutschen Maler. Sie waren nicht ihre Inspiration, sagt die Künstlerin auf Nachfrage lachend. Die Farbflächen seien in den sieben Chakra Farben komponiert, also Rot, Orange, Gelb, Grün, Türkis und Blau. Sie seien als esoterische Energiezentren zu sehen und sollen auf die Betrachter positiv wirken. Dass es auch anders geht, zeigt die Comicfigur „Snoopy“ aus Moos, sie liegt im ersten Stock entspannt auf ihrer Hundehütte.
Bürgermeister Christian Seitz und der Vorsitzende des Kulturforums, Dr. Frank Fichert, zeigen sich in ihren Ansprachen sehr angetan von dem neuen Material und der kreativen Fülle im Rathaus. Es sei nicht selbstverständlich, betont Seitz, dass diese Künstlerin in Kriftel ausstelle. Immerhin komme sie aus Darmstadt. Kulturforumsmitglied Anke Heerda, erklärt Mey, hatte mal wieder Talent-Scout gespielt und Yvonne Mey mit ihren Arbeiten auf einem Markt entdeckt. So kam der Kontakt zustande. „Kriftel“, betonte Seitz, „ist immer gut für eine Ausstellung“. Für klangliche Variationen sorgt bei der Vernissage Musiklehrerin Regina Burkert von der Krifteler Musikschule am Klavier. Sie spielt auf Wunsch der Künstlerin durchweg Lieder, die mit Natur zu tun haben.
Bürgermeister Seitz gibt in seiner Rede zu, dass er Moos als haptisch anziehend empfinde: „Es reizt sehr, es anzufassen.“ Leider ist das verboten! Lediglich ein kleines Anschauungsmaterial am Eingang darf berührt werden. Davon wird von den vielen Gästen am Abend auch reger Gebrauch gemacht.
Getanzte Acrylbilder
Lälia Rosin, Marianne Hampel und Edeltraut Moos-Czech zeigten sich begeistert: „Für uns was ganz Neues“. Aber auch der andere Aspekt des Abends, die Acrylbilder überzeugten die gut gelaunten Drei: der Farben-Mix, die leuchtenden Farbverläufe, die kreative Gestaltung.
Die sogenannten Schütt-Bilder von Yvonne Mey durchlaufen einen ganz anderen Schaffensprozess als die Mooskunst. Das sei auf dem Bild Baum gut erkennbar, so die Künstlerin. Es zeige beide Materialien auf einem Träger: Moos und Acryl vereint. Ihre Technik in der Acrylmalerei sei das „Pouring“. Bei dieser Kunstrichtung werde die Acrylfarbe nicht mit dem Pinsel oder Spachtel auf die Leinwand aufgetragen: „Die wird nach und nach auf die Leinwand gegossen“, so Mey. Durch verschiedene Schütttechniken entstünden so unterschiedliche Muster und Farbverläufe. Dann tanze sie mit der Leinwand in den Händen und schaukle sie waagrecht hin und her, um Wischer oder Kreiseleffekte zu kreieren. Das werde mehrfach wiederholt, so dass ein kleiner 3-D Effekt durch das Aufschichten entstehe. Wichtig sei ihr die Interpretationsfülle. „Jeder sieht in den Bildern etwas anderes“, stellt die Künstlerin fest. Der eine Ruhe und Ausgeglichenheit, andere ein wildes Meerestosen. Alexander van de Loo
Die ausgestellten 29 Bilder können noch bis zum 8. Mai im Krifteler Rat- und Bürgerhaus, Frankfurter Straße 33 bis 37, besucht werden: montags bis mittwochs von 8 bis 16 Uhr, donnerstags von 8 bis 18 Uhr und freitags von 8 bis 12 Uhr.